Durchblutungsstörungen der Arterien in den Beinen – im Volksmund Schaufensterkrankheit oder Raucherbein genannt – kommen viel häufiger vor als allgemein bekannt. Mindestens jeder Fünfte über 65 Jahren ist von dieser Krankheit betroffen, viele wissen das aber nicht und so wird die Erkrankung nicht behandelt, obwohl eine zielgerichtete Therapie viele Folgeschäden vermeiden könnte.
Basis der Behandlung ist nach allen wissenschaftlichen Leitlinien das aktive Gefäßtraining also häufigere gezielte Bewegung. Das ist schon seit über 100 Jahren bekannt und geht auf den berühmten Neurologen und Internisten Erb zurück. Viele weitere wissenschaftliche Untersuchungen haben das bestätigt. Im Alltag hat diese Therapie aber nie wirklich an Bedeutung gewonnen, weil man annahm, dass die Betroffenen diese Form der Behandlung nicht akzeptieren. Erfahrungen in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in bekannten Rehabilitationskliniken haben sich nicht durchgesetzt und so ist die sogenannte interventionelle Therapie durch Ballondilatation evtl. mit Stent oder die Gefäßoperation heute Standard.
Schon in den letzten Jahren kamen Zweifel auf, ob man den vielen Betroffenen damit langfristig einen Gefallen tut, denn oft verschließen sich die betroffenen Gefäßareale schon bald wieder. In einigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre hat man die drei möglichen Behandlungsformen – Gefäßtraining, Ballondilatation evtl. mit Stent und Operation sowie die damit immer verbundene sorgfältige medikamentöse Therapie – miteinander verglichen und kam zu dem Schluss, dass Gefäßtraining den beiden anderen Behandlungsformen mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen ist.
Besonderes Aufsehen erregte die auf dem letzten Kongress der führenden amerikanischen Herzgesellschaften 2011 in Orlando (USA) vorgetragene CLEVER-Studie, die klar zeigte, dass die Patienten von einem gezielten kontrollierten Gefäßtraining am meisten profitieren.
Erschrocken stellte man fest, dass für diese überlegene Therapieform gar keine Strukturen vorhanden sind. Wenige Rehabilitationskliniken betreiben diese Therapie in der geforderten Intensität, Patienten mit Durchblutungsstörungen in den Beinen werden solche Behandlungen aber nicht so konsequent verordnet, wie es bei Herzkrankheiten längst Standard ist.
Ambulante Angebote für diese Therapie wurden schon vor Jahrzehnten gefordert, haben sich aber nicht – zum Beispiel so wie die ambulanten Herzgruppen – flächendeckend etablieren können. Heute wird klar, dass dieses Manko zu ungeheuren Kosten durch Operationen und Ballonbehandlungen führt, ohne dass diese Therapie den Patienten nachhaltig wirklich überzeugend hilft. Erste Ansätze für ein vermehrtes Angebot von strukturierten Gefäßgruppen, gerade von gefäßchirurgischer Seite, zeigen, dass ein Umdenken beginnt. Gefäßgruppen sollten jedoch im Sinne einer effektiven und gesundheitsökonomisch vertretbaren Behandlung dieser Patientengruppe aber wesentlich intensiver gefördert werden.
Optimal wäre ein Angebot mit dreimal wöchentlichen Behandlungseinheiten von je einer Stunde Dauer. Eine gezielte stationäre oder ambulante Behandlung in angiologischen Rehabilitationskliniken ist noch deutlich effektiver, setzt aber ein sich wandelndes Verordnungsverhalten der Ärzte und Rehabilitationsträger voraus.
Dr. med. Uwe Becker, ehemals Stv. Vors. der LAG Schleswig-Holstein